Die Taiji-Prinzipien sind einheitlich und unveränderlich,
auch wenn sich die äußere Form bei verschiedenen Stilen, Schulen und Meistern unterscheiden mag.

Huang Sheng Shyan

Über die Ursprünge und Überlieferung des Taiji gibt es nur wenig gesicherte Informationen. Als eine Art geheimes Wissen wurde dieses nur von Lehrer zu Schüler weitergegeben; die historischen schriftlichen Aufzeichnungen sind unvollständig. Die folgende Auflistung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und konzentriert sich auf die Traditionslinie, die wir üben, nämlich Yang-Stil Taiji nach Cheng Man-ch'ing, Huang Sheng Shyan und Patrick Kelly.
Jüngste Dokumentfunde im 21. Jhdt. zeichnen ein anderes Bild, als es in den letzten Jahrzehnten verbreitet wurde. Die Forschung ist sich aber bei weitem noch nicht einig oder abgeschlossen.

Philosophische Grundlagen
(~3. Jtsd. - 6. Jhdt. v.Chr.)
Die philosophischen Prinzipien des Taiji wurden schon vor mehreren Tausend Jahren im I Ging (Buch der Wandlungen) und später vor rd. 2500 Jahren von Lao Tzu, dem Begründer des Daoismus, im Daodejing formuliert. Taiji als Übungspraxis zur Umsetzung dieser Prinzipien wurde erst viel später entwickelt.

Qianzai Tempel
(gegründet 67 n.Chr.)
Der Tausend-Jahr-Tempel im Norden des Tang Dorfes im Bezirk Boai, Provinz Henan, gilt als Wiege des Taiji und steht damit neben dem Shaolin Tempel und den Wudang Tempeln als Zentren der chin. Kampfkunst. Der Tausend-Jahr-Tempel repräsentiert die Einheit der Drei Lehren (Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus), die alle unter seinem Dach gelehrt wurden. Seit seiner Gründung war der Tempel auch bekannt für seine Daoistischen Praktiken zur Gesundheitserhaltung.
Shi Li oder Li Daozi
(* 614; † 741)
war Abt im Qianzai Tempel und wird als Begründer der "Wuji Gesundheitserhaltenden Kampfkunst" oder "Wuji Kunst der Lebenskultivierung" und des "Dreizehn Stellungen Boxens" genannt.
Zhang Sanfeng
(~12./13. Jhdt.)
gilt als mythischer Begründer des Taiji. Über seinen Geburtsort und Lebensdaten herrscht Uneinigkeit, ebenso über sein erreichtes Alter, das von manchen mit 212 Jahren angegeben wird. Er soll zunächst als Beamter in der Yuan Dynastie tätig gewesen sein, bevor er alles aufgab und als Asket durch China reiste und sich schließlich in den Wudang Bergen niederließ. Der Sage nach beobachtete er einen Kampf zwischen einem Kranich und einer Schlange und leitete aus den weichen Ausweichbewegungen der Schlange, die den schnellen harten Stößen des Kranichs immer wieder geschickt entkam, die Prinzipien der Weichheit und des Nachgebens in der Kampfkunst ab.
Familien Li, Chen, Wang
(14. Jhdt.)
Im 14. Jhdt. übersiedelten mehrere Familien aus dem Bezirk Hongdong in der Provinz Shanxi in die Gegend um den Tausend-Jahr-Tempel. Im Zuge dessen leisteten sie am Tausend-Jahr-Tempel einen gegenseitigen Eid und wurden "Waffenbrüder". Die Familien kamen jedes Neujahr am Tempel zusammen, um zu beten und ihre Dankbarkeit gegenüber den Priestern zu erweisen für die Weitergabe des Wissens über die gesundheitserhaltenden Kampfkünste. Im Laufe der Jahrhunderte gibt es zahlreiche Erwähnungen von Kampfkünstlern aus diesen Familien, die auch durch Heirat miteinander verbunden waren. Hervorzuheben ist Li Chunmao (16./17. Jhdt.), der nunmehr als Autor einiger der Klassischen Schriften des Taiji gilt.
Li Zhong
(* 1598;† 1689)
Li Xin (Yan)
(* 1606;† 1644)
Chen Wangting
(* 1597; † 1664)
Nachkommen der 9. Generation der Familien Li und Chen, erneuerten den gegenseitigen Eid und wurden von Bogong Wudao, Abt des Qianzai Tempels und dem Priester Dong Bingqian (* 1580; † 1679) in den Kampfkünsten unterrichtet. Die beiden Brüder und Cousin sollen gemeinsam die "Taiji Gesundheitserhaltende Kampfkunst" unter Einbeziehung von weiteren Techniken aus Qi Jiguang's (* 1528; † 1587) Klassiker über den Faustkampf entwickelt haben. Manche Autoren sehen darin die Geburtstunde des Taiji als Kampfkunst oder zumindest die erstmalige Benennung dieser Kampfkunst mit diesem Namen. Chen Wangting gilt damit auch als Begründer des Chen-Stils, des ältesten der heute bekannten 5 Hauptstile des Taiji.
Li Helin
(* 1716/1721)
war ein Nachkomme der 12. Generation der Familie Li und gilt nach neueren Forschungen zusammen mit Li Chunmao und Li Zhong als Autor der als "Klassische Schriften des Taiji" bezeichneten Werke. Nach einer Ansicht sind die Klassischen Schriften über seinen Enkel zu Wu Yuxiang, dem Begründer des Wu/Hao-Stils, und zur Yang-Familie gelangt.
Wang Zongyue
(~13./15./18. Jhdt.)
ist eine legendäre/umstrittene Figur in der Geschichte des Taiji, über die keine gesicherten Daten vorliegen. Nach manchen Überlieferungen soll er Schüler von Zhang Sanfeng gewesen sein, nach anderen soll er im 15. Jahrhundert gelebt haben, Autor einer der "Klassischen Schriften" des Taiji, der "Klassischen Schrift zu Taijiquan" gewesen sein und die Kunst an die Chen-Familie weitergegeben haben. Nach wieder anderen Aufzeichnungen soll er einer der vier wichtigsten Schüler von Li Helin gewesen sein und vermutlich die älteren Schriften der Familie Li kopiert und weitergegeben haben.
Chen Changxing
(* 1771; † 1853)
war in der 6. Generation Nachkomme von Chen Wangting (14. Generation Chen-Familie) und unterrichtete entgegen der Familientradition erstmals auch ein Nicht-Familienmitglied und zwar Yang Luchan in der Kampfkunst der Chen-Familie.
Yang Luchan
(* 1799; † 1872)
kam aus einer armen Familie und lernte schon als Kind Changquan, eine externe Kampfkunst aus Nord-China. Später lernte er Chen-Stil Taiji von Chen Changxing und erhielt von diesem die Erlaubnis nach Beijing zu gehen und selbst zu unterrichten. Er begründete den Yang-Stil und wurde berühmt dafür, niemals einen Kampf verloren und niemals seine Gegner ernsthaft verletzt zu haben. Deshalb wurde er auch Yang Wudi - "der unbesiegbare Yang" genannt. Zunächst war seine Kunst nicht unter dem Namen Taiji Quan sondern als Mian Quan (Baumwoll Faust) oder Hua Quan (Neutralisierende Faust) bekannt. Lt. der Überlieferung der Yang-Familie wurde die Bezeichnung Taiji für diese Kampfkunst erstmals vom Gelehrten Weng Tonghe verwendet, als er einen Kampf von Yang Luchan beobachtete. Yang Luchan gab seine Kunst u.a. an seine Söhne Yang Banhou (* 1837; † 1890) und Yang Jianhou (* 1839; † 1917) sowie an Wu Quanyou (* 1834; † 1902), dem Vater des Begründers des Wu-Stils Wu Jianquan (* 1870; † 1942) und an Wu Yuxiang (* 1813; † 1880) dem Begründer des Wu/Hao-Stils, aus dem drei Generationen später der 5. Hauptstil des Taiji, der Sun-Stil von Sun Lutang (* 1860; † 1933) entstand, weiter.
Yang Chengfu
(* 1883; † 1936)
war der Enkel des Yang-Stil Gründers Yang Luchan. Gemeinsam mit seinem Bruder Yang Shaohou (* 1862; † 1930) sowie seinen Kollegen Wu Jianquan, dem Begründer des Wu-Stils, und Sun Lutang, dem Begründer des Sun-Stils, gehörte Yang Chengfu ab 1914 zu den ersten, die eine größere Anzahl Außenstehender am Pekinger Forschungsinstitut für Körperkultur unterrichteten. Er veränderte den Kampfstil seiner Familie grundlegend und formalisierte die langsame Taijiform des Yang-Stils mit 108 Bewegungen.
Cheng Man-ch'ing
(* 1898; † 1975)
war persönlicher Schüler von Yang Cheng-Fu und neben dem Taiji auch für seine Meisterschaft in Medizin, Malerei, Dichtkunst und Kalligraphie als "Meister der fünf Vortrefflichkeiten" bekannt. Er verkürzte die traditionelle Yang Langform mit 108 Bewegungen zur kurzen Yang Form mit 37 Bewegungen, um sie einer größeren Anzahl von Interessenten zugänglich zu machen. Nach 1949 lebte und unterrichtete er in Taiwan und brachte das Taijiquan auch in den Westen (New York).
Huang Sheng Shyan
(* 1910; † 1992)
hatte seit seinem 14. Lebensjahr Baihequan (White Crane), Lohanquan (18 Buddha boxing) und Nei Gung (Daoistische Interne Alchemie) bei Xie Zhongxian (* 1852; † 1930 - der auch Lehrer des Karate Meisters Higaonna Kanryo war) gelernt und war ein anerkannter Kampfkunst Experte als er mit 39 Jahren Cheng Man-ch'ing traf, welcher der erste Taiji-Meister war, der problemlos mit Huang's Kampfkunstfertigkeiten umgehen konnte. Er wurde dessen Schüler und emigrierte später auf dessen Wunsch nach Singapur und Malaysien, wo er 40 Schulen mit über zehntausend Schülern gründete.
Patrick Kelly
(* 1950)
war seit 1979 persönlicher Schüler von Huang Sheng Shyan und wurde als einziger "Westler" in die Innere Schule aufgenommen. Nach dessen Tod hatte er u.a. engen Kontakt mit Ma Yueliang (* 1901; † 1998), dem Schüler und Schwiegersohn des Wu-Stil Gründers Wu Jianquan. Parallel dazu arbeitete er viele Jahre lang eng mit Naqshbandi Sufi Abdullah Dougan (* 1918; † 1987) und Raja Yogi Mounimaharaj (* ?; † 2007) aus Rajasthan. Auf Wunsch seiner Lehrer unterrichtet Patrick Kelly intensiv in Europa, Asien und Australien und verbindet dabei seine Einsichten in alle drei großen Strömungen spiritueller Lehren zu einem Unterrichtssystem, das den Schüler Schritt für Schritt auf dem Weg innerer Entwicklung führt.